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Protest gegen Gewalt im Westjordanland„Wir lassen uns nicht abschrecken“

Aktivisten aus Israel wollten palästinensische Bauern vor Angriffen schützen. Am Checkpoint werden sie aufgehalten – und protestieren einfach dort.

Israelische Aktivistinnen protestieren am Checkpoint nahe der Siedlung Ariel gegen die eskalierende Gewalt radikaler Siedler Foto: Dinah Riese
Dinah Riese

Aus Zentralisrael

Dinah Riese

„Ja zum Frieden, nein zur Besatzung“, ruft eine junge Frau in ihr Megafon. „Wir stehen zusammen“, steht in Arabisch und Hebräisch auf ihrem lila T-Shirt. „Wir lassen die Extremisten nicht die Ernte stoppen“, skandiert sie. Die Menschenmenge um sie stimmt in die Rufe ein. Rund 300 Menschen stehen an diesem Freitagmorgen an einem der Checkpoints, die von Israel ins besetzte Westjordanland führen. Sie demonstrieren gegen die eskalierende Gewalt radikaler Siedler.

Es sind junge Menschen und alte, Männer und Frauen, säkulare und religiöse. Viele tragen T-Shirts zivilgesellschaftlicher Friedensorganisationen, von Peace Now, Rabbis for Human Rights oder Standing Together.

Der Protest ist eine Alternative, die Grenzpolizei kam ihrem ursprünglichen Plan in die Quere: Eigentlich wollten die Aktivisten ein Zeichen der Solidarität setzen und palästinensische Olivenbauern bei der Ernte unterstützen. Dort war es in den vergangenen Wochen immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen israelischer Siedler gekommen.

Die Gewalttäter im Westjordanland sind keine kleine Gruppe, sie verwirklichen die Pläne der Regierung

Gilad Kariv, Abgeordneter der Demokraten-Partei in der Knesset

Doch die sieben Busse aus allen Teilen des Landes durften den Checkpoint nahe der Siedlung Ariel in die besetzten Gebiete nicht passieren. Das israelische Militär hatte kurz zuvor die Gegend um Burin, wohin die Aktivisten fahren wollten, einfach zur geschlossenen Militärzone erklärt: Als Folge der jüngsten Vorfälle von Gewalt durch Siedler sei der Zugang zur Olivenernte auf Landbesitzer und Einwohner begrenzt.

„Nichts hält uns davon ab, unsere Solidarität zu zeigen“

Seit Jahren attackieren radikale Siedler die Erntenden und ihre Olivenhaine, in den vergangenen Wochen aber hat die Gewalt einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Vereinten Nationen zufolge gab es allein im Oktober 264 gewaltsame Vorfälle – durchschnittlich acht am Tag. In dieser Woche hatten Angreifer in einem Industriegebiet Gebäude in Brand gesetzt und dabei auch das israelische Militär attackiert. Am Donnerstag zündeten sie eine zwischen den Dörfern Deir Istiya und Qal Hars gelegene Moschee an. Zuletzt waren auch immer wieder aus Israel angereiste Aktivisten verletzt worden, teils schwer.

Die Hoffnung der Aktivisten am Freitag: In einer so großen Gruppe würden die Siedler vor Gewalt zurückschrecken. Etwa 300 bis 400 Menschen wollten ihre Solidarität zeigen, aus Tel Aviv, Jerusalem, Haifa, Beer Scheva und anderen Orten. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen musste die Gruppe sich mit einer Demo vor dem Checkpoint zufriedengeben.

„Erst vor ein paar Wochen haben Siedler unseren Freund Odeh Hatalin erschossen“, sagt Yael Agmon, die Frau mit dem Megafon, der taz. Hatalin hatte an dem mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentarfilms „No Other Land“ mitgewirkt, der Fall hatte international für Entsetzen gesorgt. „Wir lassen uns nicht abschrecken, nichts hält uns davon ab, unsere Solidarität zu zeigen“, sagt Agmon. Die 27-Jährige gehört zu Standing Together, einer Graswurzelbewegung von Juden und Palästinensern in Israel.

Auch das israelische Militär hatte am Donnerstag die Attacken der vergangenen Wochen kritisiert. Es habe zuletzt einen „starken und signifikanten Anstieg der Anzahl und Schwere nationalistischer Gewalttaten“ im Westjordanland gegeben, sagte Oberst Ariel Gonen, Kommandeur der Regionalbrigade Samaria. Die Gewalt gehe von „einer Randgruppe von Kriminellen und Anarchisten“ aus, die das „Gesetz in die eigene Hand nehme“.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Die Polizei und die Siedlergewalt

Eine Darstellung, der die Aktivisten widersprechen. „Die Gewalttäter im Westjordanland sind keine kleine Gruppe, sie verwirklichen die Pläne der Regierung“, ruft Gilad Kariv ins Megafon. Der 51-Jährige sitzt für die Demokraten-Partei in der Knesset, dem israelischen Parlament. Die Polizei habe die Aktivisten gestoppt, ohne die dafür notwendigen Dokumente vorzulegen. Auch würden keineswegs alle Fahrzeuge kontrolliert, sondern lediglich die Busse der Gruppe.

„Wir erleben wieder einmal die politische Übernahme der israelischen Polizei durch Ben-Gvir und seine Leute“, so Kariv mit Blick auf den israelischen Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. „Die Busse auf dem Weg zur Ernte anzuhalten erfolgte willkürlich und mit dem klaren Ziel, legitime politische Aktionen zu verhindern.“ Gleichzeitig missachte die Polizei die Gewalt der „extremistischen Siedler, die jeden Tag nationalistische Straftaten überall in den Gebieten verüben“.

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